Arnika, Silbermänteli, Thymian, wilder Salbei oder Frauenmänteli – was im Unterland bestenfalls in Vorgärten gedeiht, ist für Markus Meulis Ziegen (62) sozusagen tägliches Brot. „Das schmeckt man natürlich in der Milch und in den unterschiedlichsten Käsesorten, die daraus hergestellt werden. Dementsprechend sind diese Produkte seit vielen Jahren begehrt“, freut sich der Bio-Bauer aus Nufenen, zuhinterst im Rheinwald. Doch sobald das Gespräch auf Gitzi, also junge Ziegen, kommt, ist es mit der guten Laune vorbei. „Es ist unglaublich schwierig, Gitzifleisch zu vermarkten“, erklärt Meuli. Er erwähnt das alte Sprichwort: „Was der Bauer nicht kennt …“ Doch es sind weniger die Bauern – vielmehr sind es Gastronomen, Detaillisten und Konsumenten, die gar nicht mehr wissen, wie fein und zart Gitzifleisch ist. „Mit dem Verschwinden der Ziegen aus weiten Gebieten der Schweiz ist auch das Wissen um die Delikatesse Gitzifleisch verloren gegangen“, sagt der Bergbauer, der 50 reinrassige Bündner Strahlenziegen hält.
Kaum jemand weiss heute noch um die Genüsse, die das Fleisch junger Ziegen bietet – sehr zum Leidwesen von Bio-Bauern wie Markus Meuli aus Nufenen (GR). Doch es gibt Lichtblicke: Wer das zarte, feinfaserige Fleisch einmal entdeckt hat, ist davon begeistert.
Die besseren Kletterer
Im Stall angekommen, holt sich immer wieder eines der zutraulichen Tiere Streicheleinheiten und Meuli erzählt, wie wichtig die Tiere für ihn sind: „Ein Grossteil unserer 50 Hektar Land, das zwischen 1600 und 2200 Metern liegt, kann nur mit Ziegen bewirtschaftet werden. Für mein Original-Braunvieh sind diese Hänge viel zu steil.“ Zudem sei er ein Idealist – und das müsse man als Ziegenhalter wohl auch sein. „Ein Geschäft sind die Tiere nicht“, sagt er. Die Gründe sieht er in der Landwirtschaftspolitik und der veränderten Esskultur.
Seine Ziegen bringen jährlich rund 50 Gitzi zur Welt, die Hälfte davon männlich. Und da man Ziegenböcken auch mit bestem Willen keine Milch abzapfen kann, werden diese mit wenigen Monaten geschlachtet. “Genauso wie Kälbchen oder Lämmer. Aber nur bei den Gitzi ist es dieser Jöh-Effekt, der viele Konsument:innen davon abhält, Gitzifleisch zu kaufen“, weiss Meuli.
Im Nu ausverkauft
Doch wer einmal entdeckt hat, wie gut dieses Fleisch schmeckt, ändert seine Meinung schnell. „Wann immer wir Gitzi auf der Karte haben, ist es im Nu ausverkauft“, sagt Amanda Theiler (53), Mitbesitzerin und Köchin des Restaurants Landhus in Almens im Domleschg (GR). Sie kocht grundsätzlich nur mit regionalen und, wenn möglich, biologischen Lebensmitteln.
„Ausserdem kaufe ich nur ganze Tiere, und das ist gerade beim Gitzi ideal: Ob geschmorte Keule, Koteletts oder Ragout – das feinfaserige, zarte und fettarme Fleisch, das viel weniger intensiv schmeckt als Lamm, lässt sich auf unterschiedlichste Arten zubereiten.“ Und ist das Zubereiten schwierig? Die Gastronomin lacht: „Nicht schwieriger als anderes Fleisch auch.“ Sie selbst schätzt jedes Stück – from nose to tail. Und die Gäste? „Die sind froh, wenn sie überhaupt Gitzi bekommen.“ Besonders beliebt sei ein Gericht mit geschmortem Fleisch – siehe Rezept am Schluss.
Ein Lichtblick?
„Wenn sich das nur herumsprechen würde“, sagt Markus Meuli, während er seinen Gitzi zusieht, wie sie Fangis spielen und mit Karacho um ihre Mütter herumkurven. Im Internet sind zwar zahlreiche Rezepte von Spitzenköchen wie Andreas Caminada zu finden, doch nur wenige Metzger bieten ganzjährig Gitzifleisch an. Köchinnen wie Amanda Theiler sind ebenfalls selten. Doch es gibt Hoffnung: Ein Grossverteiler ist eingestiegen. „Der Coop-Chef Joos Sutter ist extra nach Nufenen gekommen, um sich zu informieren“, erzählt Meuli. „Wir haben einen fairen Preis für unsere Gitzi ausgehandelt und können jetzt nicht nur zu Ostern, sondern das ganze Jahr über liefern.“
Coop bietet unter dem Pro Montagna-Label Gitzifleisch aus den Bündner Bergen online an – einfach im Netz nach Coop Gitzifleisch suchen.
Vielleicht ist die Zukunft der Ziegen gar nicht so düster. Vielleicht braucht es nur ein paar weitere Gastronom:innen wie Amanda Theiler, ein paar Detaillisten wie Coop und vor allem mehr Menschen, die den Gitzi-Genuss wiederentdecken. Dann könnte es mit dem Gitzifleisch so laufen wie mit den verschiedenen Ziegenkäsen: Vor zwei, drei Jahrzehnten rümpften die Leute noch die Nase. Heute sind sie sprichwörtlich in aller Munde.
Amanda Theilers Lieblingsrezept
Einen Gitzischlegel ausbeinen und die Innenseite mit einer Mischung aus 2 EL Dijonsenf, einer gepressten Knoblizehe, einer Handvoll gehackter Kräuter und einem Schluck kaltgepresstem Rapsöl einstreichen. Das Fleisch in die ursprüngliche Form bringen und zu einer möglichst gleichmässig dicken Rolle binden. Über Nacht marinieren. Zwei Rüebli, drei Selleriestangen und zwei Zwiebeln in 1 cm Würfel schneiden. Das Fleisch in einer Kasserolle in Sonnenblumenöl anbraten, herausnehmen, das Gemüse anbraten, mit Weisswein ablöschen. Das Fleisch wieder beigeben und mit Wasser auffüllen, damit das Fleisch bis ¾ bedeckt ist. Je 3 EL Dijon- und milden Senf sowie 1 EL Gemüsebouillonpaste und 2 Lorbeerblätter beigeben, mit Pfeffer und wenn nötig Salz abschmecken. 1 EL Maizena in etwas kaltem Wasser auflösen und die Flüssigkeit damit binden. Das Fleisch zugedeckt schmoren, bis es beim Einstechen mit einem Holzstäbchen nur noch wenig Widerstand gibt. Das Fett abschöpfen und die Sauce nochmals abschmecken. Die Schnur vom Gitzibraten entfernen und das Fleisch in Tranchen schneiden.
Redaktion: Franz Bamert, Fotos: zVg Meuri